Zeitzeugin erinnert sich an das Engagement ihrer Mutter im Internierungslager
Das Jahr 1939 war für Erika von grosser Bedeutung, trat sie doch in einem Zürcher Quartier in die erste Klasse ein und erlebte als Erstklässlerin viele neuen und aufregenden Dinge. Im September desselben Jahres musste der Vater ins Militär einrücken. Von diesem Zeitpunkt an übernahm die Mutter das Zepter der Familie und engagierte sich neben dem Haushalt stark in der Betreuung von jüdischen internierten Flüchtlingen. Wöchentlich reiste die kleine Frau, die selber an einem Rückenleiden litt, mit einem Rucksack voller Bestellungen aufs Land. Erikas Mutter besorgte den Internierten Medikamente, warme Kleider und andere Notwendigkeiten, welche diese unbedingt benötigten. Die Flüchtlinge durften damals das Internierten Lager nicht verlassen und litten in den erbärmlichen Lagerunterkünften einer einstigen Seidenweberei Not.
Schwer bepackt kam die Mutter mit dem Zug in Affoltern am Albis an, wo ihr von der Lagerleitung ein Wagen oder Hilfssoldat zum Tragen ihrer Hilfsgüter zugestanden hätte. Leider war der Lagerkommandant sehr unfreundlich und den Insassen gegenüber hart und kritisch eingestellt. Folglich blieb Erikas Mutter nichts anderes übrig, als den Weg ins Aeugstertal mit dem schweren Rucksack unter die Füsse zu nehmen, um ihre «Bestellungen» abzugeben. Dort traf sie Flüchtlinge, die traumatisiert und oft krank, in sehr einfachen ausgedienten Fabrikgebäuden untergebracht waren.
Der jüdische Pole Max Brusto, hielte die Lagererfahrung von den hoffnungslos überbelegten Räumlichkeiten in seinen Memoiren folgendermassen fest: «Um im Essraum an seinen Platz zu gelangen, musste man, wenn man sich verspätet hatte, über den Tisch steigen». Ungeschminkt schildert er den Unmut über die mangelnde Verpflegung. «Unsere Hauptnahrung bestand aus SKK: Suppe, Kraut und Kartoffeln. Unsere tägliche Brotration (225Gramm) verzehrten die meisten zum Frühstück, weil es ausser Kaffee oder Tee, an Sonntagen oft Kakao, nichts gab» (Brusto Max: Im Schweizer Rettungsboot. München 1967).
Mit ihren Botendiensten konnte Erikas Mutter die Not der jüdischen Flüchtlinge ein wenig lindern und Trost und Anteilnahme spenden.